Rückschau: Internationaler Workshop im Rahmen der FAO-WPMMW

Working Party on the Management of Mountain Watersheds (WPMMW)

Die Arbeitsgruppe “Protective Forests in Mountain Watersheds“ unter Österreichisch-Slowenischer Leitung organisierte den Fachworkshop „Protective Forest Management after large-scaler disturbances in Austria and Slovenia” und brachte zahlreiche Expertinnen und Experten zusammen.

Ausgangslage

Eine nachhaltige Erfüllung der Schutzfunktion des Waldes ist unabdingbar für eine dauerhaft sichere Besiedlung und Nutzung vieler alpiner Regionen. Die Schutzwirkung des Waldes gegenüber Naturgefahrenprozesse wie Steinschlag, Lawinen, Rutschungen oder Wasserprozesse ergibt sich aus einer Vielzahl an Details des Waldbestandes. Unabhängig des vorherrschenden Prozesses sind zwei Dinge jedoch ganz besonders wichtig: Stabilität und Vitalität des Schutzwaldes.

Große Störungen in Wäldern, wie Windwurf- oder Schneebruchereignisse, Massenvermehrungen durch Schadorganismen oder Waldbrände, sind grundsätzlich Teile des Ökosystems. Bedingt durch die klimatischen Veränderungen nehmen diese Ereignisse jedoch teilweise zu, die Intensitäten steigen. Damit verbunden sind zahlreiche Folgen, die häufig schwerwiegende Konsequenzen für die ohnehin schon begrenzten Lebens- und Wirtschaftsräume in gebirgigen Lagen zur Folge haben. Großflächige Störungen im Objektschutzwald können einen Verlust der Schutzwirkung bedeuten – und dies in nur äußerst kurzer Zeit! Neben ökologischen Auswirkungen im Ökosystem heißt dies aber auch ökonomischen Verlust für die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer und – die gravierendste Auswirkung für unsere Gesellschaft – der Verlust der „grünen“ Schutzinfrastruktur, die so einfach und schnell nicht zu ersetzen ist. 

Genau diese Themen wurden im Workshop 2022 der Arbeitsgruppe „Protective Forests in Mountain Watersheds“ aufgegriffen und die Ausgangssituationen und Herangehensweisen in verschiedenen Ländern vorgestellt und vertiefend diskutiert. Ein Rückblick.

Session 1: The protective effect of the forest under current challenges and requirements

Michaela Teich, Leiterin der Abteilung Schnee und Lawine im Institut für Naturgefahren am Bundesforschungszentrum für Wald in Innsbruck, Österreich, legte den Fokus in ihrer Präsentation auf den Effekt von Störungen auf die Schneedecke und Lawinensituation. Der Waldbestand hat durch verschiedene Faktoren Einfluss auf die Entwicklung der Schneedecke. Noch wenig erforscht ist, wie sich die Schutzwirkung nach einem Windwurf oder Borkenkäferkalamitäten verhält. Die schnelle Räumung nach einem Ereignis, die natürlich auch ökonomische Hintergründe neben Überlegungen zur Schutzwirksamkeit beinhaltet, kann unter Umständen einen gewissen „Protection gap“ implizieren. Das Belassen bzw. Nicht-Räumen einer Störungsfläche vermag diese Lücke zeitlich verkürzen, ist doch die Rauigkeit stark erhöht. Dies könne die Situation sogar bis zur vollständigen Übernahme des neuen, sich verjüngten schutzwirksamen Bestandes verbessern – dies vermuten zumindest erste Studien. Weitere Studien und Arbeiten sind hier jedenfalls notwendig, doch auch die Diskussion im Schutzwaldmanagement müsse hier weitergedacht werden. 

Session 2: Forest & Risk Management after large scale disturbances – international experience

Enrico Tomelleri, Freie Universität Bozen – Fakultät für Wissenschaft und Technologie und Davide Travaglini, University Florenz – Department für Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt und Forstwirtschaft, zeigten eindrucksvoll, wie die Aufarbeitung der Waldschäden nach dem Sturm VAIA 2019 vollzogen wurden. Weiters wurde auf Windschäden in Zentralitalien eingegangen. Der großflächige Windwurf, der länderübergreifend über Italien, Slowenien und Österreich zigtausende Hektar Wald – größtenteils Schutzwald – zahlreich zerstört hat, hinterließ seine Spuren hauptsächlich in den Provinzen Veneto, Trentino, Alto Adige, aber auch in Friaul, Venezia und der Lombardei. Die erste Herausforderung war überhaupt festzustellen, welche Ausmaße betroffen sind. Dabei hilfreich war das Copernicus emergency management, das mit Sentinel 2 Bildern die Schäden aus der Vogelperspektive visualisierte. Die Aufräumarbeiten gingen rasch voran, Ende November 2020, also ca. 2 Jahre nach dem Ereignis, waren 80 % der Flächen geräumt. Um eine Vorstellung zu bekommen, welche Ausmaße das Ereignis einnahm: Nur in der Provinz Bolzano wurde 1,5 Mio m³ geschädigtes Holz abgeführt. Im „Latemar-Wald“ mit einem durchschnittlichen Holzeinschlag von 5600m³ wurde der Hiebsatz für 18 Jahre zerstört. 9 Lagerplätze mussten eingerichtet werden, und in den Monaten Februar bis April wurden mit 25 Lastkraftwagen rund um die Uhr über 800 m³ Schadholz abgeführt. Auf ca. 1000 ha waren technische Maßnahmen zum Schutz vor Naturgefahren inkl. Aufforstungen notwendig. Ein umfangreiches Monitoring wurde eingerichtet, um die Waldentwicklung zukünftig angepasst zu steuern.

Erfahrungen aus der Toskana in Zentralitalien zeigten den Umgang mit Windwürfen im Schutzwald beginnend von 2015. Eine Task force im Regionalen Forest Office wurde gegründet, um einerseits die Schäden zu lokalisieren und andererseits Richtlinien zur Wiederherstellung zu erstellen. ALS-Daten wurden hier besonders hilfreich, um die Größe der betroffenen Fläche und das Volumen der geschädigten Bäumen anzuschätzen. Bei der Erstellung der Richtlinien wurde vor allem Wert auf Erhöhung der Resistenz und der Resilienz gelegt. 

Mersudin Avdibegovic von der University Sarajevo – Fakultät für Forstwirtschaft - legte den Fokus in seiner Präsentation auf die aktuellen Herausforderungen in der Waldbrandbekämpfung in Bosnien und Herzegovina und hob die Wichtigkeit der sektorenübergreifenden Kooperation und Governance hervor. Besonders der Klimawandel lässt eine erhöhte Gefahr für große Waldbrände erwarten. Gerade in der Bekämpfung zeigt sich jedoch, dass durch die bestehenden Verwaltungseinheiten und Institutionen die Kooperation und Koordination nur unzureichend gelebt wird und auch die legistischen Rahmenbedingungen einem schnellen und effizienten Einsatz im Weg stehen. 

Session 3: Forest & Risk Management after large scale disturbances – national experience

Christoph Lainer, Wildbach- und Lawinenverbauung, stellte die aktuellen strategischen Instrumente im Naturgefahrenmanagement in Österreich dar. In der Schutzwaldbewirtschaftung zeigen sich viele Herausforderungen, angefangen von der schwierigen Erschließung im Hochgebirge, von der teuren Bewirtschaftung, von den zahlreichen Berührungen des menschlichen Lebens- und Wirtschaftsraumes mit alpinen Naturgefahren und selbstverständlich mit den veränderten klimatischen Bedingungen und damit einhergehende Veränderungen der Störungssysteme. Gerade Waldbrände, noch eine überschaubare Gefahr für den Schutzwald, werden zunehmen. Das Aktionsprogramm „Brennpunkt Wald“ sorgt dafür, dass einerseits strategische, institutionelle und operative Verbesserungen erzielt werden. Das Aktionsprogramm „Wald schützt uns!“ ist sein Pendant zur Verbesserung der Schutzwälder und seiner Rahmenbedingungen in Österreich. Die Wildbach- und Lawinenverbauung ist als operatives, staatliches Handlungsorgan bemüht, in sogenannten Flächenwirtschaftlichen Projekten Schutzwälder nachhaltig zu verbessern und an die Herausforderung im Klimawandel anzupassen. 

Simon Poljansek, Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirtschaft ung Ernährung, hob in seiner Präsentation die Bedeutung des Schutzwaldes im Kontext von EU-Rechtsmaterien und Strategien hervor. Als Nischenthema in der Forstwirtschaft fehlt zuallererst eine allgemeine Definition, was Schutzwald bzw. der Begriff überhaupt bedeutet. Einen Anfang machen hier Makino Y. und Rudolf-Miklau F. in der FAO-Publikation „The protective functions of forests in a changing climate”. Die Hintergründe dieser fehlenden Grundlage liegen in den verschiedenen rechtlichen Umgangsweisen der Staaten, aber auch, da die Kompetenz über den Rechtsbestand Wald nicht auf EU-Ebene liegt, sondern klar Aufgabe der Mitgliedsländer ist. Der Schutzwald und so auch der Umgang und die Bewirtschaftung damit ist jedoch Teil vieler EU-Strategien. Das eigentliche Problem dabei ist, dass unter dem Terminus Protective Forest verschiedenste Themen verpackt und verstanden werden: Schutzwald als Kohlenstoffspeicher, Schutzwald als Holzressource, Schutzwald für Biodiversität etc. Der Schutzwald als Schutzinfrastruktur gegen Naturgefahren ist ebenfalls in etlichen Institutionen bzw. Arbeitsgemeinschaften beinhaltet, so zum Beispiel in der Alpenkonvention, EUSALP, WPMMW etc. 

Exkursion ins Lesachtal

Der folgende Tag des Workshops führte ins Lesachtal, wo die Wildbach- und Lawinenverbauung unter der Leitung von Stefan Piechl (Gebietsbauleiter Kärnten Süd) gemeinsam mit Wilfried Strasser, Bezirksforstinspektor Hermagor, die Schutzwaldbewirtschaftung und die Projektierungen nach dem Großschadensereignis VAIA 2018 vorstellten. Die großflächigen Windwürfe brachten zahlreiche Herausforderungen mit sich, zuallererst natürlich die Räumung und Logistik des Abfuhrs des Holzes, das einhergehend mit großem Preisverfall eine besondere Last für die vielen kleinen bäuerlichen Waldbesitzer bedeutete. Aufforstungskonzepte, auch unter Berücksichtigung der Klimaveränderungen in den nächsten Jahrzehnten, waren genauso gefragt, wie eine weitgehende Abstimmung mit der Jagd.

Auf besonders gefährdeten Objektschutzwaldbereiche plante die Wildbach- und Lawinenverbauung zahlreiche technische Maßnahmen, wie Lawinen- und Steinschlagverbauungen, um die Siedlungen sowie die einzige Straßenverbindung schnellstmöglichst zu sichern.

Eine besondere Herausforderung war und ist die Erschließung der steilen Objektschutzwaldbereiche. Zahlreiche Grabenquerungen in schwierigem Gelände machten umfangreiche und kostenintensive Sicherungen und technische Maßnahmen notwendig. Für eine nachhaltige Bewirtschaftung und Pflege der Schutzwälder im Lesachtal ist eine ausreichende Erschließung jedoch unumgänglich.

Exkursion nach Mojstrana, Belca, Planica - Slowenien

Der dritte Tag führte südlich der Karawanken nach Slowenien. Nach offizieller Begrüßung im eindrucksvollen Slovenian Mountain Museum in Mojstrana führte Mazjaz Gucek vom Slovenian Forest Service in das Thema ein. Slowenien ist geprägt von einem sehr hohen Waldanteil von über 58 % mit 74 verschiedenen Waldgesellschaften. Die Schutzfunktion gegenüber Naturgefahren spielt vor allem in den alpinen Lagen eine entscheidende Rolle, so sind 98.928 ha (8% of forest space) als protective forest deklariert.

Im Nahbereich des Peričnik-Wasserfalls wurde praxisnah die Bewirtschaftungsstrategie von Schutzwäldern präsentiert und auch das Ausbildungsprogramm „Safe work in protective forests“. Dadurch soll unter anderem auch das Bewusstsein der Waldbesitzer für die Schutzfunktion erhöht werden, kombiniert mit Praxisarbeit im Wald draußen. Eindrucksvoll wurde von zwei Mitarbeitern des SFS eine spezielle Fälltechnik im Steilgelände zum Schutz vor Steinschlag gezeigt.

Der Bergsturz in Belca bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich, die einzige Straßenverbindung in ein wichtiges Waldgebiet wurde zerstört, neben geologischen Aspekten ist hier vor allem die ökonomische Seite eine Folgewirkung. Der betroffene Wildbach ist von dem Bergsturz mit der Ablagerung der Sedimente unmittelbar betroffen, schnelle Schutzmaßnahmen mussten errichtet werden.

Der nächste Stop der Exkursion führte nach Planica ins Nordische Ski Zentrum, das von zahlreichen Naturgefahren in unmittelbarer Nähe beeinflusst wird. Neben Wasser- und Lawinenprozessen im Nahbereich ist vor allem der Schutzwald neben den Großschanzen unabdingbar für eine sichere Durchführung der Bewerbe.

Weitere Informationen zum Flächenwirtschaftlichen Projekt Lesachtal 2019!

Veröffentlicht am 14.11.2022